Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in seiner aktuellen Entscheidung 6 Ob 184/24p seine restriktive Rechtsprechung zur privaten Videoüberwachung weiter präzisiert. Der Fall betraf eine Nachbarschaftsstreitigkeit, bei der die Beklagte eine Videokamera in etwa zehn Metern Höhe an ihrem Haus installiert hatte, die auf das Nachbargrundstück und einen öffentlichen Weg ausgerichtet war.
Bereits die Möglichkeit der Überwachung ist unzulässig
Der OGH bestätigt seine ständige Rechtsprechung, wonach schon die bloße Möglichkeit einer Überwachung einen unzulässigen Eingriff in die durch § 16 ABGB – neben Art 8 EMRK und § 1 DSG – geschützte Privatsphäre darstellen kann.
Die Rechtsprechung des OGH bejaht auch dann, wenn etwa eine Überwachungskamera nicht an ein Betriebssystem angeschlossen und bislang auch nicht in Betrieb gewesen war, den Anspruch des klagenden Nachbarn auf Abwehr von Eingriffen in seine Privatsphäre. Dieser Anspruch ist nämlich nur dann effizient durchsetzbar, wenn die Kamera nicht mehr auf das Grundstück des sich als beschwert Erachtenden gerichtet ist, und zwar unabhängig davon, ob sie sich im Betrieb befindet oder nicht, weil er insoweit keinerlei Kontrollmöglichkeit hat.
Auch wenn eine Kamera nicht betriebsbereit ist, liegt keine bloß abstrakte Befürchtung eines möglichen Missbrauchs vor, die für sich allein das Begehren nicht rechtfertigen würde, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Befürchtung besteht, dass die Kamera jederzeit und vom klagenden Nachbarn unbemerkt angeschlossen und in Betrieb gesetzt werden könnte. Die Eingriffsgefahr ist somit zu bejahen, wenn eine konkrete Befürchtung besteht, dass die Kamera jederzeit in Betrieb genommen werden könnte!
Entscheidend ist daher nicht, ob die Kamera tatsächlich in Betrieb ist, sondern ob für einen „unbefangenen, objektiven Betrachter“ eine konkrete Befürchtung des Überwachtwerdens besteht. Dies hängt von den örtlichen Gegebenheiten sowie der Situierung und Ausrichtung der (vermeintlichen) Überwachungsanlage ab und ist daher stets nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Beweislast liegt beim Kameraaufsteller
Das Höchstgericht stellt klar: Wer eine Videoüberwachung installiert, muss nachweisen, dass er damit berechtigte Interessen verfolgt und die gewählte Maßnahme das schonendste Mittel zur (legitimen) Zweckerreichung darstellt. Im konkreten Fall konnte die Beklagte nicht darlegen, warum die Überwachung ihres eigenen Grundstücks die Erfassung des Nachbargrundstücks und des öffentlichen Wegs erforderte. Vielmehr hatte sie die Kamera ursprünglich installiert, um zu kontrollieren, dass ihre Gäste keine fremden Parkplätze nutzen.
Technische Anpassungen reichen nicht
Besonders bemerkenswert: Die bloße Änderung des Neigungswinkels der Kamera reicht nicht aus, wenn die grundsätzliche Ausrichtung auf fremde Grundstücke bestehen bleibt. Die theoretische Möglichkeit einer späteren Änderung des Erfassungsbereichs begründet bereits einen unzulässigen Überwachungsdruck. Dies gilt umso mehr, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Änderung des Erfassungsbereichs von außen nicht erkennbar ist.
Diese Entscheidung unterstreicht die hohen Anforderungen an private Videoüberwachung und stärkt den Schutz der Privatsphäre im nachbarrechtlichen Kontext. Sie zeigt deutlich: Wer eine Kamera installiert, muss von vornherein nachweisen können, dass keine schonenderen Alternativen zur Verfügung stehen!